Dialogisches Lesen (dialogische Bilderbuchbetrachtung)

FörderkonzeptElementarbereich

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Zielbereich Altersgruppe Durchführbarkeit Theoretische Fundierung Wirksamkeit
2,3,4 2 bis 6 grüner Punkt grüner Punkt grüner Punkt

Kurzbeschreibung

Kostenlos bzw. abhängig vom gewählten Buch.

Das dialogische Lesen wird im Elementarbereich eingesetzt und dient der Förderung von Sprachverständnis, Wortschatz und Sprachflüssigkeit. Das Verfahren beinhaltet die Anwendung einfacher Sprachlehrtechniken der Bezugsperson beim Betrachten von Bilderbüchern. Dazu gehören bestimmte Fragetechniken, wie beispielsweise offene und ergänzende Fragen, das Reagieren auf kindliche Aussagen in Form von Wiederholungen oder Erweiterungen sowie Aufforderungen, Sätze zu vervollständigen oder Geschichten in eigenen Worten zu erzählen. Der Fokus liegt bei dieser Methode nicht auf dem Vorlesen, sondern auf der Interaktion mit dem Kind. Das Buch dient als Impuls für das Gespräch, deshalb sollte sich die Auswahl der Bücher an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren.

Letzte inhaltliche Bearbeitung/Prüfung am: 04.07.2022

Welches Ziel hat das Tool?

Das dialogische Lesen dient der Förderung von Sprachverständnis, Wortschatz und Sprachflüssigkeit. Es ist Grundbaustein des Moduls E5 „Intensive Förderung durch dialogisches Lesen in der Kleingruppe“, kann jedoch auch in Modul E3 „Intensive Förderung im Bereich sprachlicher Strukturen“ oder in den Modulen E1 „Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung“ und E2 „Unterstützung der Sprachentwicklung von Kindern unter 3 Jahren“ eingesetzt werden.

Für welches Vorhaben kann das Tool eingesetzt werden?

Das dialogische Lesen eignet sich für die alltagsintegrierte Sprachbildung in den Modulen E1 „Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung“ und E2 „Unterstützung der Sprachentwicklung von Kindern unter 3 Jahren“ ebenso wie zur intensiven Sprachförderung in den Modulen E5 „Intensive Förderung durch dialogisches Lesen in der Kleingruppe“ und E3 „Intensive Förderung im Bereich sprachlicher Strukturen“. Bei der intensiven Förderung findet das dialogische Lesen im Vergleich zur alltagsintegrierten Nutzung häufiger und regelmäßiger (z.B. täglich) statt, und es nehmen weniger Kinder daran teil. Darüber hinaus wird bei der intensiven Nutzung das dialogische Lesen mit dem systematischen Wortschatzerwerb und weiteren Sprachförderstrategien kombiniert. Die Kinder lernen dabei nicht beiläufig neue Wörter, sondern ihre Aufmerksamkeit wird gezielt auf einige Zielwörter gelenkt. Eine Durchführung mit einer Zweiergruppe lässt sowohl intensivere Bezugspersonen-Kind-Interaktionen als auch intensivere Kind-Kind- (Peer-) Interaktionen zu. Befunde von Ennemoser, Kuhl und Pepouna (2013) deuten darauf hin, dass das dialogische Lesen auch für Kinder mit Migrationshintergrund im Kleingruppensetting zur Zweitsprachförderung geeignet ist.

Wie funktioniert das Tool?

Zum dialogischen Lesen sind nach Kraus (2005) prinzipiell alle Kinderbücher geeignet, auch Fotoalben, Bildkalender oder beispielsweise ein Tieratlas. Da sich die Auswahl des Buches an den Interessen des Kindes orientieren sollte, können kaum allgemeine Kriterien für geeignete Bücher genannt werden (einige Beispiele finden sich aber bei Alt, 2013). Bei jüngeren Kindern im Alter von 2 und 3 Jahren ist das freie Erzählen über die Bilder im Buch wichtig, deshalb sollten reich bebilderte Bücher gewählt werden, zu denen leicht Erzählsituationen entstehen können. Bei Kindern im Alter zwischen 4 und 5 Jahren steht stärker der Inhalt der Geschichte im Fokus. Das Kind wird beispielsweise aufgefordert, die Geschichte in eigenen Worten zu Ende zu erzählen oder den Beginn der Geschichte zu berichten.

Die Techniken beim dialogischen Lesen richten sich nach dem Alter der Kinder, wobei sich hauptsächlich die Art der gestellten Fragen unterscheidet (vgl. Kraus, 2005). Während bei zwei- bis dreijährigen Kindern einfache „W-Fragen“ gestellt werden (Wer, Was, Wo, Wie), wird dieses Spektrum bei 4- bis 6-jährigen Kindern um die Fragen „Weshalb“ und „Warum“ erweitert und Impulse zum eigenen Erzählen der Geschichte oder Vervollständigen von Sätzen gegeben.

Ennemoser, Kuhl und Pepouna (2013) fassen in einer Tabelle (S. 231) zu sprachförderlichen Interaktionsmerkmalen beim dialogischen Lesen drei sprachanregende Funktionen zusammen, denen einzelne Techniken zugeordnet werden. Als sprachanregende Funktionen nennen die Autoren 1.) die Anregung der kindlichen Sprachproduktion, 2.) die Modellierung und 3.) die Verstärkung und Motivation. Als Techniken zur Anregung der kindlichen Sprachproduktion, dienen „W-Fragen“, offene Fragen, Nachfragen zu Äußerungen des Kindes und das Vervollständigen von Sätzen. Als Techniken zur Modellierung können die berichtigende Wiederholung von Äußerungen des Kindes und die Wiederholung eigener Äußerungen dienen, die Erweiterung und Umformulierung kindlicher Aussagen sowie deren Unterstützung. Als Techniken der Verstärkung und Motivation nennen Ennemoser und Kollegen (2013) Lob, die Orientierung an Interessen und Erfahrungen des Kindes sowie Spaß bei der Durchführung.

Was wird benötigt, um das Tool umzusetzen?

Der Förderansatz umfasst keine spezifischen Programmbausteine oder Materialien. Es werden lediglich Bücher benötigt, die den Interessen des Kindes entsprechen. Spezifische sprachwissenschaftliche Expertise ist nicht erforderlich, die pädagogischen Fachkräfte sollten aber mit der Technik des dialogischen Lesens vertraut sein, da ihre Sprachförderkompetenz eine wichtige Rolle für das Gelingen der dialogischen Interaktion spielt. Zu den Techniken des dialogischen Lesens gibt es ein Arbeitsblatt vom Deutschen Jugendinstitut e.V. (König, Kühn & Pollert, 2011, s. auch unter Links) im Rahmen der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte.

Kraus (2005) nennt einige Rahmenbedingungen, die bei der Durchführung des dialogischen Lesens beachtet werden sollten. Dazu gehört eine gemütliche Atmosphäre wie beispielsweise eine Lese- oder Kuschelecke im Kindergarten. Ideal wäre ein separater Raum, in dem es nicht zu äußeren Störungen kommt. Es sollte hell genug sein, damit alle Kinder die Bilder gut sehen können, außerdem sollten sich nicht mehr als vier Kinder gemeinsam mit der Bezugsperson einem Buch widmen. Kraus (2005) weist darauf hin, dass die dialogische Bilderbuchbetrachtung auch mit einer größeren Gruppe möglich ist. Dann sollten aber weitere Medien genutzt werden, damit alle Kinder einbezogen werden können (z.B. Overhead-Folien/Beamer mit Bildern aus dem vorgelesenen Buch, Handpuppen zur Untermalung der Handlung). Bei dieser Art der Durchführung sei es aber schwer, individuelle Reaktionen differenziert wahrzunehmen. Zeitliche Begrenzungen gibt es nicht, das dialogische Lesen kann durchgeführt werden, solange das Kind Interesse zeigt und über die Bilder sprechen will.

Wie ist das Tool a) theoretisch b) empirisch fundiert?

a) theoretische Fundierung

Die Technik des dialogischen Lesens wurde erstmals von Whitehurst und Kollegen (1988) beschrieben. Dem dialogischen Lesen liegen konstruktivistische Lerntheorien und das Prinzip des scaffolding zugrunde. Dabei wird dem Lernenden, in diesem Fall dem Kind, ein „Gerüst“ (engl. scaffold = Gerüst) angeboten, dass aus regelmäßigem und vielfältigem Sprachgebrauch, Feedback und stützender Sprache Erwachsener während des gemeinsamen Betrachtens von Bilderbüchern besteht. Diese Anstöße, Hilfestellungen und Modellierungen sollen die sprachliche Entwicklung von Kindern unterstützen und erleichtern.

b) empirische Fundierung

Zahlreiche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des dialogischen Lesens als Förderansatz, beziehen sich jedoch in den meisten Fällen auf den englischen Sprachraum (vgl. Ennemoser et al., 2013; Marulis & Neumann, 2010, zitiert nach Ennemoser et al. 2013, S. 231; Mol, Bus, deJong & Smeets, 2008, zitiert nach Ennemoser et al., 2013, S. 231). Sie zeigen, dass Kinder, mit denen dialogisch gelesen wurde, einen sprachlichen Rückstand innerhalb kurzer Zeit (sechs Wochen) aufholen konnten. Außerdem zeigten die Studien positive Effekte im Hinblick auf eine Erweiterung des Wortschatzes und des Verständnisses grammatischer Strukturen. Darüber hinaus konnten die Kinder durch Lob und Wertschätzung in der Lesesituation ein positives Selbstbild aufbauen. Solche positiven Wirkungen konnten dann nachgewiesen werden, wenn regelmäßig (idealerweise täglich) gelesen und die Kinder für ihre Beiträge gelobt wurden. 

Diese hier beschriebenen Fördererfolge fallen offenbar bei jüngeren Kindern (2 bis 4 Jahre) größer aus als bei älteren (vgl. Mol et al., 2008, zitiert nach Ennemoser et al., 2013, S. 232) und bei Kindern, die Individualförderung im Rahmen einer Eltern-Kind-Interaktion erhalten haben größer aus als für die Kleingruppenförderung (vgl. Mol, Bus & DeJong, 2009). Laut Hartung und Ennemoser (2018) gilt das dialogische Lesen als Sprachfördermethode, deren Wirksamkeit international umfassend belegt ist (Hartung & Ennemoser, 2018). Auch deuten aktuelle Untersuchungen darauf hin, dass diese in den Kontext der deutschen Kindergarten- und Vorschulbildung übertragbar sind (Hartung & Ennemoser, 2018). So werden bei Kindern mit einem Risiko für die Entwicklung von Lese-/Rechtschreibschwächen erste positive Ergebnisse hinsichtlich einer Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten berichtet (Ennemoser, Lehnigk, Hohmann & Pepouna, 2015).

Mit welchen anderen Tools ist dieses Tool kombinierbar?

Lust auf Sprache – sprachliche Bildung und Deutsch lernen in Kindertageseinrichtungen [DVD mit Begleitheft, Szene 2]

Alter: 2; 3; 4; 5; 6

Klassenstufe: Kita

Verbünde, die dieses Tool nutzen:

Links:

Artikel von K. Kraus (2005): Dialogisches Lesen - neue Wege der Sprachförderung in Kindergarten und Familie.
https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/sprache-fremdsprachen-literacy-kommunikation/1892 [04.07.2022]

Arbeitsblatt zu Techniken des dialogischen Lesens, Ausschnitt aus dem Kapitel „Praxis der kom-petenzorientierten Weiterbildung im WiFF“, Wegweiser Weiterbildung von König, Kühn und Pollert.
https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Anhaenge/Arbeitsblatt_3_Die_Techniken_des_Dialogischen_Lesens.pdf [04.07.2022]

WiFF Wegweiser Weiterbildung: Frühe Bildung – Bedeutung und Aufgaben der pädagogischen Fachkraft. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung.
https://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/detail/fruehe-bildung-bedeutung-und-aufgaben-der-paedagogischen-fachkraft [04.07.2022]

Artikel von K. Alt: Dialogisches Vorlesen in der Kita. Sprachbildungsprozesse über Bilderbücher fördern.
https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/fachbereiche/fb12/fb12/pdf/D-Dd/Alt/alt_dialogisches_lesen.pdf [04.07.2022]

Literaturhinweise

Alt, K. (2013). Dialogisches Vorlesen in der Kita. Sprachbildungsprozesse über Bilderbücher fördern. Praxis. www.kleinundgross.de. Verfügbar unter https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/fachbereiche/fb12/fb12/pdf/D-Dd/Alt/alt_dialogisches_lesen.pdf [04.07.2022].

Ennemoser, M. & Hartung, N. (2017). Wirksamkeit verschiedener Sprachfördermaßnahmen bei Risikokindern im Vorschulalter. Unterrichtswissenschaft, 3,198 – 219. DOI 10.3262/UW1703198

Ennemoser, M., Kuhl, J.& Pepouna, S. (2013). Evaluation des Dialogischen Lesens zur Sprachförderung bei Kindern mit Migrationshintergrund. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27 (4), 2013, 229–239. DOI: 10.1024/1010-0652/a000109.

Ennemoser, M., Lehnigk, M., Hohmann, E., & Pepouna, S. (2015). Wirksamkeit eines Coachings für pädagogische Fachkräfte zur Optimierung der Förderpotenziale des Dialogischen Lesens. In A. Redder, J. Naumann, & R. Tracy (Hrsg.), Forschungsinitiative Sprachdiagnostik und Sprachförderung – Ergebnisse (S. 137−153). Münster: Waxmann.

Hartung, N. & Ennemoser, M. (2018). Ein Förderkonzept im Elementarbereich: Dialogisches Lesen. In C. Titz, S. Weber, A. Ropeter, S.  Geyer. & M. Hasselhorn (Hrsg.), Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförderung entwickeln (Bildung durch Sprache und Schrift, Bd. 2. (S. 115-127). Stuttgart: Kohlhammer.

König, A., Kühn, C. & Pollert, J. (2011). Praxis der kompetenzorientierten Weiterbildung. In Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI) (Hrsg.), Frühe Bildung – Bedeutung und Aufgaben der pädagogischen Fachkraft. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung. WiFF Wegweiser Weiterbildung (S. 139-199). Frankfurt am Main: Henrich Druck + Medien GmbH. Verfügbar unter https://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/detail/fruehe-bildung-bedeutung-und-aufgaben-der-paedagogischen-fachkraft [04.07.2022].

Kraus, K. (2005). Dialogisches Lesen - neue Wege der Sprachförderung in Kindergarten und Familie. In S. Roux (Hrsg.), PISA und die Folgen: Sprache und Sprachförderung im Kindergarten (S. 109-129). Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Verfügbar unter: https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/sprache-fremdsprachen-literacy-kommunikation/1892 [04.07.2022]

Marulis, L. M. & Neuman, S. B. (2010). The effects of vocabulary intervention on young children's word learning: A metaanalysis. Review of Educational Research, 80, 300–335.

Mol, S. E., Bus, A. G. & de Jong, M. T. (2009). Interactive book reading in early education: A tool to stimulate print knowledge as well as oral language. Review of Educational Research, 79, 979–1007.

Mol, S. E., Bus, A. G., de Jong, M. T. & Smeets, D. J. H. (2008). Added Value of Dialogic Parent-Child Book Readings: A Meta-Analysis. Early Education & Development, 19, 7 – 26.

Whitehurst, G.J., Falco, F.L., Lonigan, C. J., Fischel, J. E., DeBaryshe, B.D., Valdez-Menchaca, M. C. & Caulfield, M. (1988). Accelerating language development through picture book reading. Developmental Psychology, 24, S. 552-558.

Ulich, M. (2004). Lust auf Sprache. Sprachliche Bildung und Deutsch lernen in Kindertages-einrichtungen. Video. Freiburg: Herder.

Letzte Änderung am: 04.07.2022

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